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Lichtgedanken – Geistliche Einstimmung in den Advent

Theologische Impulse (108) von Dr. Thorsten Latzel, Präses

Aufgehende Sonne

„In Zeiten des abnehmenden Lichts“ – so heißt ein autobiografischer Roman von Eugen Ruge von 2011, in dem er die Geschichte der DDR im Spiegel von vier Generationen einer Familie erzählt. Der Roman handelt zugleich von der zunehmend verlorenen Strahlkraft des Sozialismus: von den Großeltern als überzeugten Sozialisten, über den Vater, der im sowjetischen Arbeitslager war, aber an der Idee des demokratischen Sozialismus festhielt, und dessen Sohn, der kurz vor dem Mauerfall „rübermacht“, bis hin zum Enkel, der die DDR nur noch als seltsames Relikt aus Kindertagen kennt.

„In Zeiten des abnehmenden Lichts“ – der Titel drückt auch ein Lebensgefühl aus, das viele Menschen heute haben: im Blick auf die Welt, die Gesellschaft, das eigene Leben. Zwei Jahre Corona haben viele Menschen ermüdet, erschöpft. Die Entwicklung des Klimas macht vielen Sorge. Zurecht. Der Umgang in der Gesellschaft wird rauer. Das Gefühl, irgendwie geht alles den Bach runter. An dunklen Zukunftsvisionen mangelt es nicht. Der November ist der passende Monat für diese Stimmung. Leben „in Zeiten des abnehmenden Lichts“

Mache dich auf, werde licht;
denn dein Licht kommt,
und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!
Denn siehe,
Finsternis bedeckt das Erdreich
und Dunkel die Völker;
aber über dir geht auf der Herr,
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
Und die Völker werden zu deinem Lichte ziehen
und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.

Im Advent geht es um eine andere Zeitansage. Um ein anderes Lichtverhältnis. Mitten in den dunkelsten Tagen des Jahres feiern wir den Anbruch einer neuen Zeit. So wie es in den Worten aus Jesaja 60 anklingt:

Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt,
und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!

Dazu sieben kurze Lichtgedanken.

1. Gott ist Schöpfer und Ursprung des Lichts.

Nicht wir, sondern Gott ist Schöpfer und Ursprung allen Lichts. Diese Unterscheidung klingt banal, ist aber wichtig.

Sie bewahrt uns davor, uns selbst zu überheben und zu überfordern.

Die Bibel beginnt damit, dass Gott am Anfang aller Zeiten Licht schafft, noch vor der Sonne. Licht ist das erste Schöpfungswerk Gottes. Es scheint auch ohne alles, was wir tun.

Und zugleich hält Gott selbst die Finsternis, die Nacht in seiner Hand. Das ist gut: Licht und Finsternis ruhen beide in Gottes Hand. Deswegen gibt es kein Dunkel, das uns von Gottes Licht trennen kann.

2. Werde licht!

Auch wenn wir nicht Schöpfer und Ursprung des Lichts sind, ist es unsere Bestimmung zu leuchten. Licht zu werden. Für uns und andere zu strahlen. Das richtet sich gegen die Neigung zur Selbstverzwergung.

Marianne Williamson hat das in ihrem Gedicht „Unsere tiefste Angst“ einmal so ausgedrückt:

„Unsere größte Angst ist nicht unzulänglich zu sein.
Unsere größte Angst ist grenzenlos mächtig zu sein.
Unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, ängstigt uns am meisten.
Wir fragen uns: wer bin ich denn, dass ich so brillant sein soll?
Aber wer bist Du, es nicht zu sein? – Du bist ein Kind Gottes.
Es dient der Welt nicht, wenn Du Dich klein machst.
Sich kleinzumachen, nur damit sich andere um Dich herum nicht unsicher fühlen, hat nichts Erleuchtetes.
Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, der in uns ist, zu manifestieren.
Es ist nicht nur in einigen von uns, es ist in jedem Einzelnen.
Und wenn wir unser Licht scheinen lassen, geben wir damit unbewusst anderen die Erlaubnis, es auch zu tun.
Wenn wir von unserer Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch die anderen.“

3. Lass Dich nicht vom Dunkel bestimmen!

Um licht zu werden, ist es wichtig, sich nicht vom Dunkel bestimmen zu lassen. Ja, die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte. Unsere Gesellschaft ist es nicht, unsere Kirche nicht und ich bin es auch nicht. Es gibt 1000 gute Gründe dafür schwarzzusehen. Hoffnung, Leben aus dem Licht, hat immer etwas Kontrafaktisches. Aber sie ist dennoch wahr. Gottes Licht leuchtet. Aller Dunkelheit zum Trotz. Und wir können es deswegen auch. Doch dazu braucht es Übung – um das eigene Leben neu auszurichten. Es braucht Gebet, Stille, Gottes Wort, damit ich selbst davon etwas wahrnehme, meine Augen neu sehen lernen.

4. In Zeiten aufgehenden Lichts

Das meint Advent: Leben in einer Zeit aufgehenden Lichts. „Dein Licht kommt.“ Die Evangelisten beschreiben das in verschiedener Weise: bei Matthäus ist es der Stern, der die Weisen führt, bei Lukas die Klarheit des Herrn, die den Hirten erscheint, und Johannes schreibt: „Und das Licht schien in die Finsternis.“

Es ist der verwegene Glaube, dass in diesem einen Menschen Jesus von Nazareth Gottes Liebe zu seiner ganzen Schöpfung ein für alle Mal sichtbar geworden ist. In diesem Jesus, der Kinder segnete, Kranke heilte, Lahme gehend machte, Blinde sehend, Aussätzige rein, Armen das Evangelium predigte, Grenzen überwand – und der sich für diese unbedingte Liebe Gottes kreuzigen ließ.

Wir glauben, dass Gott in Christus selbst dem Tod die Macht genommen hat. Deswegen sind alle unsere Kirchen nach Osten gerichtet. Hin zu Christus als aufgehende Sonne am Morgen.

5. Warten auf den Morgen

Der Glaube an Christus stammt aus dem Morgenland. Dem Orient. Dort, wo die Sonne aufgeht. Deswegen ist die Bewahrung des „christlichen Abendlandes“ ein seltsamer Gedanke. Im Warten auf Christus ist das Licht der neuen Schöpfung Gottes schon gegenwärtig. Wie bei Vögeln, die mitten in der Nacht anfangen, vom Licht des neuen Tages zu singen. Im Glauben bewahren wir deshalb das christliche Morgenland – mitten in der Nacht. Im Warten ist eine Haltung, in der der Kommende schon gegenwärtig ist, nicht seinen Schatten, sondern sein Licht vorauswirft.

Warten im Advent ist so eine Mischung von brennender Geduld und Gegenwart des Zukünftigen. Warten im Advent ist wie Morgenlob in der Nacht.

6. Die Unbeschreiblichkeit des Lichts

Physikalisch lässt sich Licht im Dualismus von Welle und Teilchen beschreiben, eine Materie, die zugleich Welle ist.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem Leuchten der Liebe. Wir leuchten selbst, wenn wir andere Menschen lieben.

Und doch sind es nicht wir, sondern es ist Gottes Geist, Christus in uns. Wir haben Anteil an der einen unbedingten, allumfassenden, schöpferischen Liebe Gottes. Zu dieser Liebe Gottes gehört es, dass sie ihr Objekt nicht vorfindet, sondern schafft. Gott liebt uns und macht uns so liebenswert.

Deswegen ist die Feindesliebe der Inbegriff unseres Glaubens. Im Glauben lernen wir den anderen im Licht der Liebe Gottes zu sehen. Und werden so selbst zu einem Teil dieser einen schöpferischen Liebe, bis Gott einmal sein wird alles in allem.

7. Die aufgehende Herrlichkeit des Herrn

Dort, wo dies geschieht, bricht wirklich etwas von der Herrlichkeit des Herrn an. Werden wir zu Erstgeborenen einer neuen Schöpfung. Auch wenn ich selbst immer wieder dahinter zurückbleibe. Auch wenn ich in meinem Leben immer wieder daran scheitere, andere zu lieben, und auch wenn wir als Kirche das Licht allzu oft verstellen: Gottes Licht scheint. Und die Herrlichkeit des Herrn geht auf. So sicher wie die Sonne am Morgen.


Weitere Texte: www.glauben-denken.de

Als Bücher: https://praesesblog.ekir.de/inhalt/theologische-impulse-als-buecher

Kontakt: praeses@ekir.de

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